Christival 2008

Das Wunder von Bremen

Manifestationen unsichtbarer Welten

Christival BannerAls der Bremer Erweckungsprediger Gottfried Menken 1793 in seinem Beitrag zur Dämonologie das Verhältnis von sichtbarer und unsichtbarer Welt darlegte, sah er sich noch angesichts des Siegeszuges der Aufklärung gezwungen, die bloße Existenz einer übernatürlichen Welt zu verteidigen. [1] Vor diesem Problem stehen Evangelikale im frühen 21. Jahrhundert nicht. Ob es um Gläserrücken, Pendeln, Besprechungen, Kartenlegen, Engelsglauben oder andere Erscheinungen der modernen Esoterik geht – umstritten ist heute nicht mehr die Existenz einer unsichtbaren, übernatürlichen Welt, sondern wer die Deutungshoheit über sie ausüben darf. Wie wichtig diese Frage sowohl von den Veranstaltern als auch den Besuchern des Christivals genommen wurde, verdeutlicht der Umstand, dass nicht nur mehrere Seminare zu diesem Thema angeboten wurden, sondern diese bereits im Vorfeld ausgebucht waren.

In dem mit mehreren hundert Zuhörern besetzten Kino 6 des Cinemaxx erklärte Klaus-Günther Pache, Pastor der Bremer freikirchlichen Paulus-Gemeinde, das Thema seines Seminares überschreite „die Grenzen der aufgeklärten naturwissenschaftlichen Welt“. [2] Pache warnte vor allen selbstständig durchgeführten Experimenten mit der dahinter liegenden unsichtbaren Welt: „Menschen öffnen sich der Geisterwelt – und es passiert was.“ Es gäbe aber keine andere verlässliche Leitung als die Bibel. Die einzige akzeptable Praxis eines Christen in dieser Hinsicht sei das Gebet. Seine Kraft sah Pache dadurch bewiesen, dass am Eröffnungsabend des Christival in nährerer Umgebung der Feierlichkeiten nur wenige Regentropfen gefallen seien, wohingegen bereits in zwei Kilometer Entfernung ein Unwetter geherrscht habe, sogar eine Maifeier hätte abgesagt werden müssen. Dies, so Pache unter dem Beifall seiner Zuhörer, sage er mit aller Deutlichkeit, sei „das Wunder von Bremen“.

Jesus Demon HunterDie wichtigsten Wesen der unsichtbaren Welt sind nach Pache die Engel. Sie sind von Gott geschaffene, ewige, geistige Wesen, die, ausgestattet mit Willen, Gefühl und Verstand, alle Kennzeichen einer Person aufweisen. Ihre Aufgabe sei es, die Menschen zu behüten und zu beschützen. Gegenspieler der Engel sind Luzifer und seine Dämonen. Tatsächlich liege der Ursprung des Bösen in der Bibel im Dunklen, doch interpretiere er sie so, dass Luzifer ursprünglich der höchste Engel gewesen und wegen seines Ungehorsams gegenüber Gott samt seiner Anhängerschaft – diese ursprünglichen Engel wären nun die Dämonen – aus dem Himmel vertrieben worden sei.

Eine vergleichsweise moderate Position vertrat ein Seminar zum Thema „Okkultismus“, das Mathias Krase, christlicher Psychotherapeut aus Brandenburg, vor etwa 300 Jugendlichen hielt. Mit einer breit gefassten Definition des Okkultismus als der Lehre von verborgenen Dingen bezog sich der Referent auf zeitgenössische Trends, in denen unsichtbare Kräfte eine Rolle spielen, wie etwa Reiki, Anthroposophie, Astrologie, Gothic, Wellness-Esoterik, Hexentum, Satanismus usw. Biblische Entsprechungen sah er in Schriftstellen, die von Zauberei, Zeichendeuterei, Götzendienst oder Geisterbeschwörung handeln. Diese Praktiken – so die zentrale Aussage des Referats – seien von der Bibel verboten,Okkultismus Seminar da Götzen von Menschen geschaffene „Nichtse“ darstellten, die eine Scheinsicherheit vorspiegelten und dem menschlichen Willen nach Macht und Kontrolle entsprängen. Dies könne sich auch auf fromme Handlungen erstrecken: „Wenn ich mich morgens nicht aus dem Haus traue, weil ich meine stille Zeit [die frühmorgendliche Bibellektüre] noch nicht gemacht habe, ist das Bibellesen zum Götzen geworden.“

Dem Referenten war bewusst, dass seine Ansicht im Auditorium umstritten sein würde; tatsächlich kritisierten Zwischenfragen eine „Verkürzung des biblischen Weltbilds“ und wiesen auf den Umstand hin, dass der Teufel in der Bibel eine eigenständige Macht sei, die durchaus aktiv mit dem Menschen in Verbindung treten könne. Hinter diesen Argumenten schien ein verbreitetes Problem aus dem therapeutischen Arbeitsgebiet des Referenten durch, für das der Term „dämonische Belastung“ verwendet wurde. [3] Mit diesem Begriff erklären sich einige Jugendliche innere und äußere Anfechtungen, die ihnen zu schaffen machen, obwohl sie den Weg der Nachfolge Jesu eingeschlagen haben. Demnach resultierten psychische Probleme und äußere Hindernisse aus einer Art Kontamination durch den Kontakt mit okkulten Gegenständen oder Praktiken. Solchen Spekulationen suchte der Referent schon vorab mit der Feststellung den Boden zu entziehen, „entweder bin ich im Licht oder in der Finsternis.“

AllegorieLicht und Finsternis sind Chiffren für zwei Welten, die einem während der Christival-Tage in Bremen auf Schritt und Tritt begegneten. Die unsichtbare Welt des Lichts wurde mit der Präsenz der Kongressteilnehmer im öffentlichen Raum sichtbar und transformierte ihn. In der harmonischen Christival-Welt konnte man sich tagelang unter Jugendlichen aufhalten, ohne dass einem Zigarettenrauch an die Nase drang; niemand missachtete die Straßenverkehrsordnung und überschritt etwa eine rote Fußgängerampel; Außenstehende wurden zur Teilnahme mit dem offensiven Angebot entsexualisierter Zärtlichkeit in Form kostenloser Umarmungen eingeladen.

Religionsfreie ZoneIn der Außenwelt, der Finsternis überlassen, herrschte derweil das freie Spiel der bösen Mächte. Der Rand der Gesellschaft lieferte sich direkt hinter der Marktplatz-Bühne des Christivals bei laufendem Konzert eine Auseinandersetzung mit den staatlichen Ordnungshütern [4]; während der Eröffnungsveranstaltung am 30. April versuchten Gegendemonstranten das Christival-Gelände zu stürmen [5]; ein homosexuelles Pärchen liebkoste sich demonstrativ bei einer Veranstaltung in der Martini-Kirche; ganz zu schweigen von der Berichterstattung im Vorfeld, in der die Christival-Teilnehmer als mittelalterliche Fundamentalisten geoutet wurden. All diese Vorfälle verwiesen im Deutungsschema vieler christlicher Jugendlicher auf die ungebremste Wirkungskraft des Bösen. Im Seminar „,Bewahre uns vor dem Bösen‘ – der Teufel mischt mit!“ des Jugendreferenten Hermann Fürstenberger antwortete eine Teilnehmerin auf die Frage nach dem Wirken von Dämonen im eigenen Umfeld etwas zögernd: „Die Demonstranten?“.

HbfDoch der Satan, so Fürstenberger, sei heimtückischer als man denkt. Er kenne nicht nur den offenen Angriff. Genauso gut trete er mit der heiligen Schrift in der Hand als vermeintlicher Christ auf. Warum, so fragte Fürstenberger sich und sein Publikum, warum erscheinen Menschen, die sich als Christen bezeichnen, am Bahnhof und verteilen dort Pamphlete gegen das Jugendtreffen, in denen sie dieses als fern vom Geist und Wort der Bibel kritisieren? Warum versuchen sie an diesem Ort zu missionieren, wo es doch nur Christen gäbe? Warum gehen sie nicht statt dessen in den Osten, wo fast nur Atheisten seien? Tatsächlich gab es dieser Tage in der Stadt kaum einen symbolisch aufgeladeren Ort als den Bereich zwischen dem Nordausgang des Hauptbahnhofs und dem Christival-Gelände, an dem Licht und Finsternis eine deutlich sichtbare Scheidelinie bildeten. Unbeachtet von Fürstenberger fanden sich hier aber noch weitere Kräfte der Finsternis ein. So flanierten am Samstag nicht nur grün gewandete Anhänger einer Sekte, deren Götter Diego, Frings und Wiese heißen, sondern auch in zunehmendem Maße eine in der Bremer Religionsgeschichte seit mehr als 200 Jahren auftretende Spezies von „Spöttern frivoler Voltairischer Art“. [6] Sie suchten den Ort auf, um sich das seltsame Treiben aus der Nähe zu beschauen, das sie zuweilen mit Versen der guten alten Messdienerlyrik kommentierten: „Jesus sprach es werde Licht – doch er fand den Schalter nicht.“

[1] Gottfried Menken: Beitrag zur Dämonologie oder Widerlegung der exegetischen Aufsätze des Herrn Professor's Grimm. Frankfurt und Leipzig 1793.

[2] Das Konzeptpapier zum Vortrag kann hier eingesehen werden.

[3] Vgl. hierzu die theologische Positionsbestimmung in Relinfo: Befreiungsdienst in der Landeskirche?, Abschnitt 4.

[4] Vgl. Jesus vs. freie Berichterstattung.

[5] Für eine differenzierte Darstellung der Ereignisse bei dem Vordringen von Demonstranten auf das Gelände seitens eines Christival-Besuchers vgl. Christival: Proteste 01: von links.

[6] Johann Smidt; Heinrich Rump (Hg.): Gamaliels und seiner Freunde Abendunterhaltungen über die bevorstehende Predigerwahl der Bremischen Kirchengemeinde zu St. Ansgarii. Bremen: Heyse 1836, Bd. 2, 6.

Hinzugefügt am 8. Mai 2008 | Frank; Tilman