Bremensia

Glaubenssätze aus zwei Jahrhunderten

Bremer zwischen 1700 und 1900 über Religion, Politik und Mystik

Glaubenssätze

1750

Demnach Ein Hochedler Hochweiser Rath dieser Stadt, eine Zeither, mit besonderem Leidwesen vermercken müssen, welcher Gestalt einige ihrer Bürger und Untergehörigen, theils unter allerhand ungegründeten Schein und irrigem Vorwandt, theils auch aus offenbarer Ruchlosigkeit, das Gehör Göttlichen Worts und den Gebrauch des Heiligen Abendmahls, wol gar auf einige Jahren, versäumen, und durch solche, dem Allerhöchsten Wesen misfällige, auch einem jeden wahren Christen, so welt- als geistlichen Standes, anstößige Lebensart, viele Aergernissen, Klagen und Verdruß verursachen: Derselbe aber dabey seiner Obrigkeitlichen Pflicht zu seyn erachtet, nicht allein für das zeitliche Wohlseyn ihrer Bürger und Einwohner, sondern auch für das Heil ihrer unsterblichen Seelen zu sorgen, und dasselbe durch Handhabung der äußeren Mittelen, so viel möglich, zu befördern.

Kommentar

Beginn eines Proklams – d.h. einer obrigkeitlichen Verordnung mit Gesetzeskraft – publiziert vom Rat der Stadt Bremen im August 1750. Für das Fernbleiben vom Gottesdienst wird anschließend Zuchthaus und Verbannung aus der Stadt angedroht. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde eine ganze Reihe solcher Verordnungen erlassen, wahrscheinlich mit eher mäßigem Erfolg. Der sehr auf äußere Einhaltung religiöser Vorschriften bedachten bremischen Staatsreligion stand die Bewegung der Pietisten gegenüber, die ein Ideal der verinnerlichten Frömmigkeit vertraten. Aus: Proclamata Impressa, Bd. 2 (1727–1767), Nr. 364, Staatsarchiv Bremen, 2-P.5.c.2.a.2.b.

Hinzugefügt am 29. März 2008 | Tilman


1795

Aber bei denen, die das Wort Gottes haben und verehren, sollte man doch eine heilige Jurisprudenz, eine Erkenntnis des göttlichen Rechts erwarten, wodurch ihnen das, was Gott thut, erhellet, und sie vor allem verderblichen Irrthum, an ihm und an seiner Gerechtigkeit und an dem Unterschiede des Guten und Bösen irre zu werden, gesichert und bewahrt blieben.

Kommentar

Gottfried MenkenEiner der prägnanteren Sätze aus dem Frühwerk des Gottfried Menken. Solche Worte – die durchaus an Apologeten des islamischen Rechts im 18. wie im 20. Jahrhundert erinnern – machten in den unsicheren Zeiten kurz nach der Französischen Revolution Eindruck und festigten Menkens landesweiten Ruf als offensiven Prediger, bevor er 1801 sein überaus erfolgreiches Pastorat in der Neustadtsgemeinde St. Pauli antreten konnte. Aus: Gottfried Menken: Ueber Glück und Sieg der Gottlosen. In: Carl Hermann Gildemeister (Hg.): Schriften: Vollständige Ausgabe, Bd. 7, Bremen: Heyse 1858 [zuerst 1795], 77–104, 83.

Hinzugefügt am 29. März 2008 | Tilman


1813

Nur wenn es ihm unmöglich gemacht wird, ohne Krieg die Zwecke seines Daseyns zu erreichen, die Würde seiner Verhältnisse zu sichern, die Ehre seines Namens zu retten, die Wohlfahrt seiner Familie und seiner Mitbürger zu befördern; wenn kein Weg ihm bleibt, als Gewalt, um – Gewalt zu vertreiben: dann führt er Krieg. Er kann in seiner Lage nur auf diese Weise Gott preisen: darum führt er Krieg.

Kommentar

Johann DraesekeNeben seinem engagierten Eintreten für eine Union der evangelischen Kirchen waren es auch seine patriotischen Predigten, mit denen er in seiner Gemeinde im Lauenburgischen St. Georgsberg für den Heiligen Krieg gegen Napoleon warb, die die Ansgariigemeinde bewogen, den Lutheraner Dräseke im November 1814 auf die vakante Stelle des dritten Predigers zu wählen. Dräsekes Konzept der Tapferkeit, das aus zwei Komponenten besteht, weist erstaunliche Parallelen zum islamischen Modell des inneren und äußeren Djihad auf: die fortgesetzte Auseinandersetzung mit der eigenen inneren Natur, die allerdings bei Dräseke bis zur individuellen Verschmelzung der Persönlichkeit mit Christus führen kann und dem nach außen gerichteten Kampf für gerechte Verhältnisse. Dräsekes Einsatz für die konstitutionelle Bewegung trug ihm nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 – auf Druck des Deutschen Bundes – einen Maulkorb des Bremer Senates ein. Aus: Johann Heinrich Bernhard Dräseke: Heil Euch und Ruhm, Ihr christlichen Streiter! In: Deutschlands Wiedergeburt: verkündigt und gefeiert durch eine Reihe evangelischer Reden im Laufe des unvergeßlichen Jahres 1813. Lübeck: Michelsen 1814, Erstes Heft, 124f.

Hinzugefügt am 31. März 2008 | Frank


1836

Was ist Schlaf, was ist Tod! Was ist denn schon todt im Schlafe, und was schläft denn nur und ist noch nicht todt im Tode? Hat das Leben einen Anfang, wo ist er zu finden, hat es ein Ende, wo ist es zu erfassen? – Wenn wir von einem Menschen sagen, er ist todt, was sagen wir damit irgend mehr, als daß unsere Wahrnehmung seiner selbstthätigen Wirksamkeit aufgehört habe, daß jede Spur derselben uns verschwunden sey?

Kommentar

Johann SmidtZur Mitte des 19. Jahrhundert prägten scharfe Auseinandersetzungen zwischen rationalistischer Theologie und bibelgläubiger Erweckungsbewegung die religiöse Landschaft Bremens. Als sich die Fronten anlässlich einer anstehenden Predigerwahl wieder verhärteten, griff der oberste Landesvater, Bürgermeister Johann Smidt, zu einem ungewöhnlichen Mittel. Unter dem Pseudonym Gamaliel ließ er ein klassisches Streitgespräch publizieren, in dem er, getreu dem Vorbild des jüdischen Gesetzesgelehrten in Apg 5,34–40, einen Vergleich durch göttliche Entscheidungsfindung vertritt. In der obigen Passage gewährt er einen seltenen Einblick in seine persönlichen Glaubensüberzeugungen, der ihn als einen rationalistischen Mystiker kennzeichnet. Aus: Heinrich Rump (Hg.): Gamaliels und seiner Freunde Abendunterhaltungen über die bevorstehende Predigerwahl der Bremischen Kirchengemeinde zu St. Ansgarii. Bremen: Heyse 1836, Bd. 2, 28.

Hinzugefügt am 30. März 2008 | Tilman


1872

Wir erkennen uns nicht mehr als gefallene Geister, welche auf Erden eine Läuterungszeit durchzumachen haben für früher begangene Unthaten, sondern als Geister, die aus niederen Sphären zu höheren sich hinaufringen, um immer mehr zu erfassen vom Urgrunde allen Werdens, dem ewig Unerkennbaren, mag er gleichnisweise Tao, Amun, Brahm oder wie sonst genannt werden, dem geheimnisvollen Geiste, der auch in uns lebt.

Kommentar

Albert Hermann Post (1839–1895), in Fachkreisen noch heute ein Begriff als Mitbegründer der vergleichenden Rechtsethnologie, wandte sich keine drei Jahrzehnte nach Smidts obigem Ausspruch in einer kleinen Schrift dem Problem der Unsterblichkeit zu. Wenn auch die Argumentation beider, des bremischen Politikers und des Gelehrten, klare strukturelle Gemeinsamkeiten aufweist, so hinterließen die Entwicklungen in der zeitgenössischen Ethnologie und Altertumskunde doch ihre Spuren. Denn für Smidt war der Fortbestand der Seele zuallererst in einem dezidiert christlichen Kontext denkbar, wohingegen Post in Konkurrenz zu der Naturwissenschaft seiner Zeit eine universelle Beweisführung für die Tatsache der Unsterblichkeit anstrebte, die alle Menschheitskulturen einschließt. In gut bremischer Wissenschaftstradition suchte er dabei eine Synthese aus der Monadenlehre von Leibniz und der Newtonschen Mechanik herzustellen. Aus: Albert Hermann Post: Die Unsterblichkeitsfrage und die Naturwissenschaft unserer Tage. Oldenburg: Schulze 1872, 37.

Hinzugefügt am 31. März 2008 | Tilman